Wie Daisy Gräfin von Arnim mit Äpfeln die Arbeitslosigkeit in der Uckermark bekämpft
MARION KAUFMANN für die Märkische Allgemeine / 11.09.2007
LICHTENHAIN Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm. Auf die Straße ist er gekullert und die Gräfin ist – patsch – einfach drübergefahren und hat ihn zu Mus gematscht. Einen knackigen roten von einem Baum, den die von Arnims vor vielen Jahren an der Allee zwischen Lichtenhain und Boitzenburg gepflanzt hatten. Patsch, da war sie, die Geschäftsidee, nach der Daisy von Arnim so lange gesucht hatte. Es hätten auch Birnen sein können. Oder was ganz anderes. Irgendwas, mit dem sich etwas aufbauen lässt. Die Gräfin hatte tausend Ideen. "Manches war total durchgeknallt", sagt sie. Mit Stricken hat sie es versucht. Lohnte sich nicht. Eine Gänsefarm vielleicht. Sie kann keine Tiere schlachten. Ein Nachhilfeinstitut. Für welche Kinder denn? "Es ist schon viel in die Suppe gegangen", sagt Daisy von Arnim. Bis zu jenem Tag, als ihr die Frucht der Erkenntnis vor den Reifen rollte.Äpfel, das war's! Was sonst gibt es in der Uckermark in Hülle und Fülle? Das Geld, war ihr in dem Moment schlagartig klar, lag einfach auf der Straße. Also waren es eben Äpfel, mit denen sie Paula, Britt, Petra, Sieglinde und den anderen Frauen eine Perspektive geschaffen hat. Denn die standen irgendwann vor ihrer Tür und fragten: "Haste Arbeit?" In der Hoffnung, die neue Nachbarin hätte einen Job für sie. Aber die hatte ja selbst keinen. Im niedersächsischen Helmstedt hatte Daisy von Arnim als Buchhändlerin gearbeitet. 1995, da war sie gerade 35, zog sie mit ihrem Mann, Michael Graf von Arnim, in die Uckermark, zurück in die Heimat seiner Ahnen. Ihr Schwiegervater, einst Herr von Schloss Boitzenburg, floh vor dem Einmarsch der Roten Armee in den Westen. Die Familie wurde enteignet. 50 Jahre später kaufte der Sohn einen Teil des väterlichen Besitzes zurück und zog in Lichtenhain, einem winzigen Dorf zwischen Templin und Prenzlau, einen landwirtschaftlichen Betrieb hoch. Eigentlich hätte Daisy von Arnim die Buchhaltung für ihren Mann machen sollen. Aber Zahlen sind nicht ihr Ding. "Diese Gehirnhälfte funktioniert bei mir nicht", sagt sie.Die Idee mit den Äpfeln funktionierte umso besser. Die Gräfin sammelte die Äpfel ein, experimentierte im Schuppen nächtelang mit dem Gaskocher und zog dann mit einer mobilen Mostpresse übers Land. Bald war sie umringt von Frauen, die gerne mitmachen wollten. "Kann ick dir helfen?", fragten sie. Konnten sie. Denn mit Most allein war kein Vermögen zu machen. Also pflanzten sie 500 Apfelbäume, kochten Gelee, Marmelade und Chutney, pressten Saft, setzten Schnaps, Likör und Essig an, buken Kekse und Früchtebrot. Verkauften ihre Waren auf Wochenmärkten in Berlin, im eigenen Hofladen und inzwischen auch über das Internet. Am Anfang, sagt die Gräfin, war es ein bisschen wie "Jugend forscht". Mittlerweile wirft der Saftladen genug für zehn Frauen inklusive Chefin ab.Den Menschen die Würde wiedergebenFrauen wie Paula Schultze. Mit Haarnetz und Schürze steht sie in der von Arnimschen Küche, holt heiße Bleche mit duftenden Keksen aus dem Ofen, schneidet mit stoischer Gelassenheit mundgerechte Happen von einer baguetteförmigen Teigstange: Apfel-Cantuccinis, einer der Verkaufsschlager. Mehr als zehn Jahre hat die 54-Jährige in einer Bäckerei in Templin gearbeitet. Dann wurde sie arbeitslos. "Hier hast du doch keine Chance, was Neues zu finden", sagt sie – in einer Gegend, wo die Arbeitslosenquote mit 21,7 Prozent so hoch ist wie nirgends sonst in Brandenburg. Daisy von Arnim gab ihr eine Chance. "Dabei geht es nicht nur ums Geldverdienen", betont sie. "Sondern darum, den Menschen ihre Würde wiederzugeben".Jede Frau macht dabei das, was sie am besten kann. Die eine backt, die andere nimmt die Bestellungen an, die dritte verpackt die Ware. Gabi beispielsweise, sagt die Chefin, "ist die totale Verkaufsbombe". So richtig als Chefin fühlt sie sich in ihrer kleinen Manufaktur allerdings nicht. "Wir sind einfach ein klasse Team", sagt sie. Für die anderen ist sie nicht die Gräfin, sondern einfach nur Daisy. Überhaupt sei es nicht der Adel, der sie verpflichtet. Dieses "Grafen-Ding" sei zwar praktisch fürs Geschäft. Ein Arnim-Thaler vermarktet sich einfach besser als ein Schulze-Keks. Aber wenn schon, dann ist es ihr christlicher Glaube, der sie antreibt. "Geben ist was Schöneres als Nehmen", sagt die 47-Jährige. Und dass es ja wohl unerhört wäre, mit einer Idee Geld zu verdienen, die keine Arbeitsplätze schafft. "Am Anfang hatte ich diese romantische Vorstellung, das ganze Dorf zu beschäftigen", erinnert sie sich. Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Aber auch indirekt sichern die Äpfel inzwischen manche Existenz. In der Mostzeit helfen männliche Saisonkräfte mit. Daisy von Arnim kooperiert mit anderen Kleinunternehmern in der Nähe, jeder vertreibt Produkte des anderen mit. Busgesellschaften, die auf Gut Lichtenhain Station machen, schickt sie anschließend weiter zu ihrer Freundin Uta, die im benachbarten Wichmannsdorf eine Café hat.Diesmal ist es eine Rentnergruppe aus Westfalen. Die CDU Everswinkel auf Kaffeefahrt. Die Apfelgräfin höchstselbst, in grüner Jeans und Steppjacke über dem Strickpullover, führt die Gruppe über ihr Gut, zeigt, wie der Saft in die Flaschen fließt und lotst den Besuch dann in den Stadel, wo Britt und Petra bereits das Sortiment auf Biertischen drapiert haben. Apfellikör, Apfelchips, Apfelgelee, Apfelessig, Apfel-Caramel, Apfel-Leberwurst. Es duftet nach warmem Apfelsaft, den die Frauen aus einer Thermoskanne in Plastikbecher zum Probieren gießen. Nett, sei sie, die Gräfin, sagen die Rentner, so natürlich. Und so patent. "Die ist ja bei uns im Westen groß geworden", belehrt eine Dame im Anorak, nippt noch einmal vom Likör und trägt dann eine große Tüte mit Köstlichkeiten zurück zum Bus. "Ideen hat die", pflichtet der Ehemann bei. "Aber wenn man von so was leben muss."Tiefstapeln ist nicht ihr DingDaisy von Arnim will von sowas nicht nur leben, sie will wachsen, ihre Produkte möglichst in ganz Deutschland, vielleicht auch im Ausland verkaufen. Um noch mehr "fröhliche Arbeit zu schaffen". Denn Tiefstapeln ist nicht Daisys Ding. "Man muss auch mal ein bisschen auf die Kacke hauen", erklärt sie – um sofort erschrocken die Hand vor den Mund zu halten und nach gewählteren Worten zu suchen. "Ich träume lieber zu groß, als gar nichts zu wagen", korrigiert sie sich. Aber wenn sie einmal in Fahrt ist, sprudeln die Worte eben so aus ihr heraus. Neulich, als Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) auf Besuchstour in der Uckermark war, war es genauso. Da sagte sie es einfach frei heraus. Dass es ein Skandal ist, wenn Menschen für einen Euro schuften. Dass es den Leuten leichter gemacht werden muss, etwas dazuzuverdienen. Dass eigentlich genug Arbeit da wäre, wenn man die Menschen nur lassen würde. Hinterher tat es ihr ein bisschen leid. "Ich wollte nicht, dass es sich anhört, als wollte ich mich beschweren."Denn eigentlich wollte sie damit etwas anderes sagen: Dass das Land alles hätte, was man zum Leben braucht. Dass es – mit Verlaub – schnurzpiep-egal ist, wo man lebt, weil man überall was reißen kann. Wenn sie durch ihren weitläufigen Garten wandert, vorbei an den Apfelbäumen, die sie gepflanzt hat, weiß sie, dass sie Recht hat. Am Ende des Gartens, dort, wo das Feld beginnt, kann sie auf die Allee blicken, auf der ihr vor sieben Jahren die Frucht der Erkenntnis vor den Reifen gerollt ist. Man muss nur aus dem Mustopp kommen, sagt sie, dann klappt es schon.
Mittwoch, 12. September 2007
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